Das Buch „Der weisse Strich“
Frank Willmanns Text
Auch in Frank Willmanns Text setzt sich das auffällige
auf die Stereotypie der DDR-Vergangenheit fixierte Episodenhafte nahtlos
fort, nur daß es nun noch durch Weimarer und Westberliner Episödchen
über Protagonisten des Mauer-
strichs und andere Weimarer Personen ergänzt
wird. Dabei hatte man von einem Text, der vom Herausgeber dieses Buches
und Aktionsteilnehmer ge-
schrieben ist mehr erwartet. Aber wenn, wie er
schreibt, sein Hauptbeweg-
grund für die Teilnahme an der Strich-Aktion
ohnehin der Wiederbelebungs-
versuch einer von ihm nachträglich erfundenen,
real nie existierenden Kün-
stlergruppe gewesen ist, dann ist an interessanten
Gedanken über seine Motive und die damalige Westberliner Situation
tatsächlich wenig zu er-
warten. Stattdessen fängt der Text ohne irgendeine
in die Ausführungen hineingleitende Einleitung einfach damit an, daß
"die fünf Freunde" sich in der kleinen Gemeinde der methodistischen
Gemeinde in Weimar kennengelernt hätten. Was erstens im Zusammenhang
mit dem Strich völlig unbedeutend , zum zweiten gar nicht der Fall
gewesen ist. Ich war dort nicht zugegen und auch Jürgen Onißeit
nicht, wie er mir Anfang 2017 mitteilte.
Ich arbeitete zu der Zeit (1981/82), als dieser
Methodistenkreis sich traf, in einem Altenheim und nutzte die freie
Zeit für Studien der Bücher von Karl Marx, Solschenyzin und Kunze,
die im Kellergewölbe der Methodistenkirche
die gedankliche Atmosphäre prägten interessierten
mich seit geraumer Zeit nicht mehr. Daß sich die fünf Freunde
in jener Methodistengemeinde offenbar dann doch nicht kennengelernt hatten
stellt Willmann dann später im Text fest, wen er schreibt, daß
ich nicht dort nicht dabei war und das deshalb,
weil ich zuhause mit meinen Geschwistern einen
gemeinsamen Kampf gegen den Vater führte. Als hätte es diesen
Kampf jemals gegeben. Auch Willmann hat sich wie seine Lebenspartnerin
Hahn nicht die Mühe gemacht, zu recherchieren. Gerade nach dem Tod
meiner Mutter 1979 (Willmann lernte ich erst 1982 kennen) rückte die
Familie -mit Ausnahme von mir- eng zusammen. Willmann beleidigt meinen
Vater, indem er ihn entgegen der Realitäten als einen Menschen charakterisiert,
der seine Kinder zum gemeinsamen Kampf gegen sich aufbrachte und das in
einer Weise, die so massiv gewesen sein soll, daß Zeit und
Energie für andere Aktivitäten anscheinend nicht übrig blieb.
Zum zweiten lügt er über das Verhalten der Kinder und beleidigt
sie damit ebenfalls. Ich wiederum hatte gegen meinen Vater nie gekämpft,
son-
dern ihm durch äußere Erscheinung und
politisches Verhalten Lehrer- und Kaderleiter-Besuche eingebracht, die
die offenbar schlechte Erziehung seines Sohnes mit seinen Pflichten als
Musikpädagoge konfrontierten und ihn in Verlegenheit und Rechtfertigungsdruck
brachten, deren daraus hervorgehende Stimmungslagen er dann wütend
an mich weitergab. Als ich, nachdem ich meine Lehre abgebrochen hatte,
schließlich eine Nische als Hilfspfleger in einem katholischen Altenheim
gefunden hatte löste sich der Konflikt mit mei-
nem Vater in Luft auf, denn ich brachte ihm nun
keine unliebsamen Besuche mehr ein. Daß ich als Teenager den üblichen
Kampf zwischen Freiheiterwei-
terung und Normalitätsvorstellungen der Eltern
kämpfte bedeutet nicht, gegen den Vater rebelliert zu haben, sondern
von der Absicht angetrieben worden zu sein, sich gegen und jenseits von
dessen Vorstellungen die eigenen Freiheiten herauszunehmen. Was Willmann
letztlich wohl damit auch sagen will ist, daß mir an außerfamiliären
Kampf-und Kommunikationsorten nicht viel gelegen war, sondern daß
ich lieber in den vier Wänden familiäre Ersatzkämpfe des
Gesellschaftlichen führte. Tatsächlich jedoch war das Gegenteil
der Fall, wie das folgende Beispiel zeigt.
Statt dem Methodistenkreis beizutreten regte ich
im Rahmen eines über das Wochenende stattfindenden großen Friedensfestes
der Weimarer evangeli-
schen Kirche im Sommer 1982 dazu an, sich
regelmässig zu treffen, anstatt nun wieder bis zum kommenden Jahr
auf das nächste Fest dieserart zu warten. Woraufhin Jugenddiakon Volker
Elste bemerkte, ein solches regelmässiges Treffen gäbe es schon
in Form der "Offenen kirchlichen Jugendarbeit", die seit jenem Friedensfest
und meinem Vorschlag nun schlicht "Montagskreis " hiess und ab sofort auf
religiöse Rituale (gemeinsames Beten etc) weitestgehend verzichtete.
In der Folgezeit wurde dieser Kreis über seine bisherige Teilnehmerclientel
hinaus zum Anlaufpunkt für die Subkultur Wei-
mars, aber man sollte ihn auch nicht überbewerten,
denn der Versuch leben-
diger Auseinandersetzungen scheiterte sehr häufig
an unserer realsozialisti-
schen Prägung: den in der Schule eingeübten
Phraseologien, die hier in Form von pazifistischen Formeln reproduziert
wurden, deren Inhalte sich zwar denen der DDR-Ideologie widersetzten, aber
eben letzlich auf dieselbe oft phrasen-
haft anmutende und sich in ihrer Aussagen mantraartig
wiederholende Art. Als gebrannte Kinder der realsozialistischen Geistessozialisation
war es eben schwer, langsam aus der Starre der Monotheismen herauszukommen
und schrittweise in eine lebendige Diskurskultur einzutreten, wobei der
Wunsch dazu durch die jahrelange Konditionierung in der Schule bei einigen
offenbar ohnehin schon ziemlich abgestorben schien.
Marxismus-Schick
Keinesfalls bin ich – wie Willmann schreibt- der
totale Außenseiter gewesen, wohl aber innerhalb einer geistig uniformisierten
Gesellschaft einer derjeni-
gen, die bereits in der Schulzeit durch
Reibungssituationen mit den Normen eine persönliche Eigenwilligkeit
entwickelt hatten. Mit einem meiner Schulfreunde tauschte ich später
Ideen aus und wir wagten uns- inzwischen 17 Jahre alt- an die theoretischen
Grundlagen des Sozialismus, um zu verstehen, auf was der eigentlich gründete
und wie sich die Theorie und die sich auf diese Theorie beziehende sowjetsozialistische
Praxis zueinander verhielten. Die durch deren massive Staats-Ideologisierung
erzeugte Abneigung überwindend kämpften wir uns durch Marx und
Engels. Dabei wiederholte ich, wenn nötig, das Lesen mancher Abschnitte
solange, bis der Inhalt bei mir deutlich angekommen und darum keine Floskel
in meiner Gedankenwelt mehr war, was ja Ziel dieser Studien gewesen ist:
Zu begrei-
fen, statt zu praseologiseren. Die Art unserer
Auseinandersetzungsweise mit solchen Theorien war daher bereits systemfeindlich,
da sie nicht Phrasen und feststehende Wahrheiten einübte, sondern
die dahinterstehenden Ideen nachzuvollziehen und zu hinterfragen versuchte.
Willmann bezeichnet uns in seinem Text als "schicke Theoretiker", denen
man nicht frech kommen durfte. Dabei waren wir zu dieser Zeit (1981 bis
Mite 1982) nur zwei miteinander dialogisierende, erkenntnissuchende
„Theorie-Freaks“ gewesen, die sich mit gänzlich unschicken (nämlich
realsozialistisch monopolisierten) Gesellschafts-
theorien beschäftigten und damit niemanden
beeindrucken oder distanzieren wollten. Wenn unsere Theorien schick waren,
dann muss der ganze Überbau des real existierende Sozialismus eine
sehr schicke Angelegenheit gewesen sein. Dabei wäre es ja sogar dringend
nötig gewesen, in die Öde des real-
sozialistischen Alltags mehr echte schicke Momente
einzuführen, denn das meiste, was im Sozialismus sowjetischer Prägung
schick daherkommen sollte waren ja nur krampfhafte Versuche innerhalb einer
nicht überwindbaren, da systemisch bedingten Biederkeitskultur.
Um dem Leser zu zeigen, wo schicke und arrogante
Theorie letztlich hinführt fügt Willmann auf seine vulgärtendenziöse
Art noch hinzu, daß mein dama-
liger Freund heute am rechten Rand der CDU anzutreffen
ist, was schlichweg nicht stimmt. Willmann hat sich einfach nur an den
simplifizierenden Konsens angehängt, der über Peter Krauses,
von 1998 datierter viermonatiger journa-
listischer Tätigkeit beim rechtskonservativen
Blatt „Junge Freiheit“ herrscht. Zu dieser Mitarbeit führte Krause
in einem Interview für Welt.online aus: „ Ich wollte, dass die Zeitung
ein freies, radikal unideologisches Debattenblatt wird: lagerübergreifend,
von einem konservativen Fundament aus weit nach links ausgreifend. Das
funktionierte nicht, aus verschiedenen Gründen. Und so haben die „Junge
Freiheit“ und ich (1998 d.Verf.) nach vier Monaten beschlos-
sen, die redaktionelle Zusammenarbeit zu beenden.
(Inteview Welt.online vom 3.5 2008).
Als nächstes nimmt sich Willmann die Hippies
und Feministen Weimars vor, die einen Vortrag von ihm, welchen er 1983
im "Montagskreis" hielt, einhellig als langweilig empfunden hatten und
zudem von Nietzsches Satz "Wenn Du zum Weibe gehst vergiß die Peitsche
nicht" und auch den allgemeinen nietzscheanen Interpretationen Frank Willmanns
wenig hielten.Dazu ist zu erwähnen, daß Nietzsches Texte dem
DDR-Bürger nicht zugänglich waren. Man mußte zum einen
interessiert sein und dann auch noch eine der äußerst raren
Quellen kennen und anzapfen können, die für den Zugang zu sonst
nicht erhältlichen Büchern existierte. Eine solche Quelle hatte
Willmann durch Jürgen Onißeit gefunden, der nach seiner vorzeitigen
Beendigung der Elektroniker-Lehre (1981) in der Weimarer Stadt-Bibliothek
arbeitete, in der es auch ein Depot von Büchern gab, die nur an erwiesenermaßen
system-
konforme Leser, welche sich durch Angabe von beruflich
erforderlichen und inhaltlich genehmigungswürdigen Leseabsichtsgründen
legitimieren konnten, ausgeliehen wurden. Menschen, die solche Quellen
entweder nicht hatten oder bei deren Nutzungsmöglichkeit an anderen
Autoren interessiert gewesen sind, war von Nietzsche meistenteils nur sein
irgendwie besonderes Philosophieren, vielleicht noch sein späterer
Wahnsinn und eben dieser Satz bekannt, weil er so drastisch klang und auf
den ersten Eindruck sehr leicht zu interpretieren war. Willmanns
Vortrag hatte es nicht geschafft, den diesbezüglich wenig informierten
Menschen Nietzsches Denken nahezubringen, was letztlich nicht verwunderlich
ist, denn wenn ein 19jähriger, in der Phraseologiefabrik der DDR-Schule
sozialisierter Mensch einem ebenso sozialisierten und zudem an ganz
anderen Gedankenwelten (Pazifismus, DDR-Systemkritik) interessierten Publikum
plötzlich Friedrich Nietzsches lebensphilosophisch psychologisie-
rendes Denken nahebringen möchte hat er sich
einfach zuviel vorgenommen.
Nachdem Willmann in seinem Selbstinterview dann
noch ein paar Sätze lang über die widerstandsfaulen Hippies lästert
und dabei auch sprachlich einen schnodderigen Ausdruck wählt, um authentisch
und unumwunden zu wirken, wiederholt er schliesslich die Legende von dem
aus purer Zerschlagungs- und Zersetzungsabsicht vorgenommenen Verhaftungen.
Daraufhin muß sich der Leser durch langweilige
Details über den Weimarer Pfarrer Krantz und Willmanns Eltern quälen
und inzwischen fragt man sich schon gar nicht mehr, was das alles noch
mit der Berliner Mauer und unserer Aktion zu tun hat. Man liest einfach
weiter.Unsere Strich-Aktion wird in die-
sem Text offenbar nur benutzt, um im Rahmen einer
durch ihre Thematisie-
rung attraktiv erscheinenden Publikation all diese
langweiligen, im atmo-
sphärischen Dunstkreis von DDR-Nonkonformitäts-Jugend
spielenden Details unterzubringen, die wegen ihrer Banalität sonst
nirgendwo unterzubringen wären. Anschliessend belügt Willmann
den Leser mit "etlichen unerfreulichen Kontaken mit der Staatssicherheit.
Teilweise haben sie mich überwacht". Aus seiner etwa 15 Seiten umfassenden
Akte geht dies nicht hervor. Dort werden 2 oder 3 Treffen mit dem Ministerium
des Innern protokolliert, in denen seine Gründe und Aussichten bzgl
des gestellten Ausreiseantrags erörtert werden. Frank Willmann wiederholt
dort entschlossen seine Ausreiseabsicht und das
klugerweise so, daß er sich nicht
durch unnötige Provokationen in Gefahr bringt. Drohungen, die
die Stasi ihm bei diesen Treffen entgegengebracht haben soll findet man
hier nicht. . "Wenn Verhaftungen anstanden, war ich immer fällig und
wurde verhört." Es standen während seiner Zeit in Weimar nur
dreimal Verhaftungen an: Die der beiden Wehrdienstverweigerer, als Vernehmungen
anderer als der Verhaftetetn gar nicht nötig waren, da die Angelegenheit
von vonherein klar war, also auch nicht mehr aufgeklärt werden musste.
Ein weiterer Verhaftungskomplex war der der Fassadensprüher, bei denen
Willmann tatsächlich befragt wurde. Danach stellte er seinen Ausreise-
antrag. Wenn er diesen also in seinem Buch-Text
damit begründet,daß er bei Ermittlungen zu unaufgeklärten
Straftaten stets zu den Verhör-Kanditdaten zählte so ist das
einerseits richtig, anderersseits ist der Plural daran falsch, da Frank
Willmann im Zusammenhang mit verhaftungsorientierten Errmitt-
lungen nur nach der Sprühaktion im Oktober
1983 vernommen wurde. Nach seinem Ausreiseantrag gab es dann noch die Verhaftung
der Flugblattschrei-
ber des Wahlboykottaufrufs, bei denen die Akteure
(Kobylinski, Otto und Fischer und ich) ebenfalls feststanden und
eine Aufklärung durch Verneh-
mungen im Umfeld nicht nötig war. Hinzu kam
nach seinem Ausreiseantrag noch ein Verhör im Rahmen des „Die in“
am Ost-Berliner Alexanderplatz, bei dem alle potenziellen Teilnehmer Weimars
(und anderer Städte) ohne tatsächliche Inhaftierungsabsicht vernommen
wurden. Ich gehe bis heute anhand des vergleichsweise recht lasch mit mir
und meinen Freunden geführten Verhöres davon aus, daß das
Mfs aufgrund dessen, daß es sich bei diesem „Die in“ um eine für
sie strafrechtlich schlecht zu handhabende Veranstaltung handelte, die
Organisatoren nicht wirklich emitteln und dann verhaften wollte. Schlecht
zu handhaben deshalb, weil es sich um eine Aktion nicht gegen Verhältnisse
des Ostblocks, sondern gegen den Weltkrieg im allgemeinen handelte und
er neben den beteiligten DDR-Bürgern durch friedensengagierte Personen
aus Westeuropa unterstützt wurde, die das SED-Regime in seinen Medien
ja täglich als ihre Gesinnungsfreunde gegen die NATO-Kriegstreiber
instrumentalisierte.
Willmann weiter: "Es gab diverse Strafandrohungen".
Selbstverständlich gab es diese, weil sie zum psychischen Druckmittel
jedes Verhöres gehörten. Aber Willmann befand sich in der
sicheren Position des Nichttäters und konnte diese Drohkulisse an
sich abprallen lassen. Für Aussageverweigerung gab es keine Strafe,
wie mein diesbezüglich notorisch schweigender Weimarer Freund Volker
Otto bestätigen wird.
Wir befinden uns bereits in Willmanns Ausführungen
über die totale Alternativlosigkeit seines gestellten Ausreiseantrages.
Im nächsten Satz spricht er von Opferung, wenn er seinen Übersiedlungswunsch
damit begründet : "Ich hatte nicht das Gefühl, daß ich
mich für dieses Land und seine Menschen opfern müsste". Als käme
die damals beliebte Devise „Bleibe im Lande und wehre Dich täglich“
einer Aufopferung gleich. Was sagen ei-
gentlich die anderen ostdeutschen Punks, Hippies,
Oppositionellen dazu, die bis 1989 in der DDR geblieben sind und Widerstand
mindestens gegen ihre Integration in die gewünschte 0815-Normalität
geleistet haben. Oder andere, die es wenigstens lange probiert haben, bis
sie nicht mehr konnten oder weil hohe Haftstrafen deren zeitliche Halbierung
durch einen Ausreiseantrag ermöglichten. Und was sagen diejenigen
dazu, die ihren Ausreiseantrag gestellt haben, weil sie -wie Frank Willmann
auch- völlig legitimerweise einfach bloß freier leben wollten
und sich zur Begründung dieser nachvoll-
ziehbaren Absicht keine heftigen Drohkulissen
ausdachten, wie es Willmann tut, nur um beides einzuheimsen: die schnelle,
möglichst schmerzfrei be-
werkstelligte Ausreise ebenso wie den Status des
Widerstandskämpfers.
Angeblich hätten sie ihm bei einem Verhör
erklärt, daß die Weitergabe von Namen der verhafteneten Sprüher
an BRD-Medien nur er und seine Freunde gewesen sein konnten und ihm dazu
auch alle Details dazu aus Observationsprotokollen geschildert. Das gäbe
bis zu 10 Jahren Haft. Warum sie ihn angesichts der erdrückenden Beweislage
dann nicht verhaftet haben erschliesst sich wiederum nicht. In seiner Akte
fand ich zu diesem Ereignis keine Information. Er führt weiter aus:
Jede seiner Verhaftungsübermittlungen wäre noch am selben Tag
in der „Tagesschau“ berichtet worden. Genauer gesagt: Nicht eine einzige
wurde am selben oder folgenden Tag in der Tagesschau genannt, weder die
Verhaftung der Sprühakteure, die der beiden Wehrdienstverweigerer
noch die der Flugblatt- Hersteller. Die zweifellos erfolgten Nachrichtenübermittlungen
in die Bundesrepublik organisierte im übrigen nicht bloß Frank
Willmann, auch andere Weimarer Personen waren diesbezüglich tätig.
Willmann aber füttert den Leser auf mehreren
Seiten mit solcherlei mal falschen, mal völlig übertriebenen
Informationen über sich, sich und sich. Seine 3 Monate nach Antragstellung
bewilligte Ausreise kommentiert er in einer für ihn ziemlich typischen
geschmacklosen Dumpf-Provokation. In Westberlin sei er neidisch auf seine
Freunde gewesen, die im Osten im Knast sitzen durften. Daß die "die
Knute des Systems zu spüren bekamen. Andererseits war ich froh darüber,
daß ich mich mit losen Mädchen im Resi herumtreiben konnte und
nicht von Knackis in den Arsch gefickt wurde. Das war ambivalent". Abstoßender
kann man sich eigentlich nicht mehr aus-
drücken, nicht zuletzt wegen der dahertönenden
„Ambivalenz“, die sich hier zumindest gedanklich zwischen Knast-Arschfick
und Sex mit „losen Mädchen“ vor die Wahl gestellt sieht. Willmann
entscheidet sich hier nicht nur mal wieder für die langweilige vulgär-provokative
Art, sondern bemüht mangels Erfahrung einfach das willkommene
Stereotyp vn gewaltsamer Analpenetration im Gefängnis und macht
sich dabei als Zeitzeuge auch noch lächerlich, denn keiner der Weimarer
Häftlinge ist im Knast vergewaltigt worden und es bestand aufgrund
der präventiven Maßnahmen im gesamten Gefängnis auch wenig
Wahrscheinlichkeit für solche sexuellen Übergriffe. Daß
es in der vierzigjährigen Geschichte des DDR-Gefängnisses solche
Übergriffe gab ist damit nicht bestritten. Davon abgesehen: Zum Zeitpunkt,
als Willmann noch nicht nach Westberlin ausgereist war und also noch in
jenem Cafe „Resi“ häufiger Gast war saßen alle der Weimarer
Inhaftierten in Untersuchungs-Haft des MfS. Dort waren keine analpenetrierenden
„Knackis“, sondern politische Häftlinge eingesperrt, von denen die
allerallerwenigsten auch eine Laufbahn als „Knacki“ hinter sich hatten.
Möglicherweise hat Willmann der Neid auf die
politisch Inhaftierten nie wieder verlassen und das Gefühl, sich letztlich
einfach aus dem Staub gemacht zu haben, während die anderen wegen
versuchtem Widerstand gegen das System einsaßen, hat ihn in der ersten
Zeit in Westberlin scheinbar häufig heimge-
sucht. Die anderen saßen für ihre Überzeugungen
und Aktionen ein, hatten dadurch eine gewisse -für Willmann immer
höchst wichtige- positive Aufmerksamkeit bekommen, er hingegen war
nun zwar vogelfrei, aber auch frei von besonderer Aufmerksamkeit, was ihn
trotz der neuen Annehmlich-
keiten nicht zufriedenstellte. Anders lässt
sich diese überflüssige Flut an Begründungen für seinen
Ausreiseantrag nicht lesen. Auch habe er bei "den Aufrufen von Wolfram"
(gemeint ist der Wahlboykottaufruf, der gar nicht von mir initiiert wurde
sowie ein Aufruf von mir, der wiederum nicht kriminia-
lisierbar war )nicht mitgemacht, weil er nicht
ins Gerfängnis wollte. Dabei hatte er gar nicht die Entscheidungsmöglichkeit,
weil er beide Male nicht in den Wohnungen gewesen ist, wo diese Textblätter
hergestellt wurden. Wir wollten auch nicht ins Gefängnis. All
die ganzen Anpasser wollten es übrigens auch nicht, ebenso wie die
Nonkonformisten, niemand wollte es, aber manche hielt es nicht davon ab,
auch Dinge zu tun, die sie bei Entdecktwerden ins Gefängnis bringen
konnte. Was Willmann letztlich damit sagt ist, daß er –verständlicherweise-
generell nicht ins Gefängnis wollte und ergo alles unterließ,
was eine Inhaftierung zur Folge haben könnte.Er fügt noch
hinzu , daß er zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits Künstler
geworden sei, was er mit „Rummachen mit Super8-Film“ und einem abendlangen
Versuch, in einer Punkband zu singen belegt. Politisches Veränderungsinteresse
disqualifiziert er demgegnüber als missionarischen Eifer, dem er sein
Interesse gegenüberstellt, gute Bücher zu lesen (politisch bildende
sind offenbar schlechte) und „nette Mädchen“ zu „haben.", denen politisch
interessierte Menschen offenbar naturgemäß abgeneigt sind.
Anschliessend berichtet Willmann uns seine Ankunft in Westberlin und man
fragt sich immer noch, wann der Autor uns endlich etwas über sein
zentrales Buchthema erzählt. Wir befinden uns immerhin schon auf der
vorletzten Seite von Frank Willmanns Text. Doch da braut sich etwas zusammen,
wenngleich auch wieder bloß als Stammtischmix aus Lügen und
Bewertungen. Zunächst einmal will Willmann dem Leser ein Künstlerkollektiv
glaubhaft machen, bestehend aus den fünf Freunden, die schließlich
den Strich an derBerliner Mauer zogen. An dieser Strichaktion hat er seinen
Angaben nach –wie bereits weiter oben erwähnt-vor allem deshalb teilgenommen,
weil er den Zerfall der Gruppe aufhalten wollte. Dabei gab es weder
ein Künstlergruppe noch 5 feste Freunde . Aus einem grösseren
Freundes- und Bekanntenkreis (zu der z.B. noch Lutz Heyler, Volker Otto,
Grit Ferber, Knut Angermann, Anett Onißeit, Jan Georg Fischer, Alwin
Derfuß, Pia Lazarewski, Holger Radtke, Jochen Schramm gehörten
), bei dem wiederum nicht jeder mit jedem enger in Kontakt gewesen ist
hatten sich die 5 zur Strich-Aktion gefunden. Mit Willmann war ich 1982
ein paar Monate in Weimar, mit Jürgen Onißeit in Westberlin
mittelstark befreundet, mit Thomas Onisseit und Frank Schuster hatte ich
nahezu nichts zu tun, Frank Willmann sah ich in Westberlin äußerst
sporadisch. Über die Art des Kontaktes der an-
deren Strich-Akteure zueinander möchte ich
mir kein Urteil anmassen. Unbestritten ist aber, daß es eine intensive
künstlerische und geschwister-
liche Beziehung der Brüder Onisseits und
eine freundschaftliche zwischen Frank Schuster und Frank Willmann gab.
Letzterer war zeitweise auch mit Jürgen Onißeit befreundet.
Wenn laut Willmann eine feste Künstlergruppe existierte, ich gehörte
definitiv nicht dazu. Aber sie existierte auch gar nicht, wie mir Zeitzeuge
Lutz Heyler auf meine ihm zum Abgleich mitgeteilten Erinnerungen bestätigte.
Wenn es einen aus fünf Jungs bestehenden festen Freundes-kreis gab,
ich gehörte ebenfalls nicht dazu, wohl aber zu einem losen aus einigen
Ex-Wessis (Knut, Alwin, Pia, Suse, Dietrich )und einigen Ex- Ossis (Volker,
Lutz, Ellis, Grit, Kipper, Fehser, Holger und den späteren Strich-Akteueren)
bestehenden Netz , das in Westberlin wiederum nur ein Teil meiner
sozialen Kontakte gewesen ist. Meine Alltagsrealität war eine völlig
andere als die von Wilmann mit „Freundeskreis“ suggerierte. Die „Ost--Connection",
welche auch Ex-Ostberliner wie Ellis, Lutz und Holger einschloß
war für mich nur eine Facette in meinem neuen Leben. Diese Connection
stellte meine „Roots-Connection“ und insofern die ideale andere Hälfte
meiner Westberliner Sozialkontakte dar, weil wir uns hier einerseits aus
der Vergangenheit kannten aber andererseits diese in unsere Westber-
liner Alltag hinter uns gelassen hatten und nun
vor allem in der Gegenwart lebten. Wir waren angekommen und begegneten
uns als neue Personen, aber im Wissen unserer gemeinsamen Weimar-Vergangenheit.
Ich kann mich nicht erinnern, mit Grit, Volker, Onne regelmässig über
die Vergangenheit gespro-
chen zu haben, wohl aber über z.B. eine Griechenland-Reise,
Onnes neues Bild, neu erschienene Schallplatten oder das bevorstehende
Konzert von Wire oder den Einstürzenden Neubauten. Mit Willmann traf
ich mich alle halbe Jahre mal, in einem Fall bei der Besprechung eines
gemeinsamen Gedicht-
bandes, an der noch die Brüder Onisseits
teilnahmen. Willmann erinnert den Titel des Gedichtbandes als PIK Ass“,
tatsächlich lautete er „PIK 7“. Diese Namensverwechslung seiner eigenen
Produkte wirft ein Licht auf die Flüchtigkeit Willmannscher Erinnerungen.
Es handelte sich immerhin um die erste Veröffentlichung einiger seiner
Gedichte. Noch ein anderer Aspekt in Willmanns Text frappiert: Hat man
jemanden erstmal zu einem Freundeskreis subsumiert, obwohl das gar nicht
der Realität entspricht, bedeutet dessen Nichtteilnahme an manchen
Gruppen-Angelegenheiten plötzlich einen Aus-
fallsmoment, für den mitunter auch noch irgendeine
seltsame Begründung gegeben wird. So findet sich in Willmanns Einlassung
über das sonntägliche Kroquetspiel (er bezeichnet es irrtümlich
mit Criquet, obwohl es sich dabei um ein ganz anderes Spiel handelt, ..nächste
Flüchtigkeit) der Hinweis, daß Wolfram Hasch nicht daran teilnahm
und das deshalb, weil ich noch schlafen mußte. Obwohl ich gar kein
Interesse an diesem Spiel hatte und diesem Spiel-Kreis gar nicht angehörte.
An dem Spiel nahmen die Brüder Onisseits, Lutz Heyler, Ellis Schramm
und Frank Willmann teil, Frank Schuster als eine der anderen zur angeblichen
5er Künstlergruppe gerechneten Personen jedoch wiederum nicht. An
anderer Stelle steht die Vollständigkeit meiner Beteiligung an seinem
einzigen Super8Film plötzlich zur Debatte, weil ich beim Schnitt nicht
dabei war. Warum sollte ich auch , es war ja Willmanns Filmprojekt. Ich
hatte als Darsteller mitgewirkt und Wochen vor den Dreharbeiten einen Flyer
hergestellt, in welchem wir Personen einluden, uns für den Film Schnürsenkel
zu schicken, mit dem wir eine in Mullbinden gewickelte Schaufensterpuppe
an einen Rollstuhl wickeln wollten. Auch den Filmtitel hatte ich ausgedacht,
zudem den für den Film nötigen Dreharbeiten beim Filmen einer
Schlangen-
fütterung beigewohnt. Doch für Willmann
waren das nur marginale Beteiligungen, denn Wolframs "künstlerische
Phase begann erst nach dem zweiten Knasterlebnis“, was in zweifacher Hinsicht
erfunden ist. Zum einen, weil ich mich nie als Künstler sah, zum zweiten,
weil ich bereits im Frühjahr 1985, also ein paar Monate nach meiner
Übersiedlung und lange vor meiner Inhaftierung kreativ tätig
war. In der Zeit seit Mitte 1985 bis zur Inhaftierung wegen des weissen
Strichs hatte ich neben meinen u.a. in Pik7 veröffent-
lichten Gedichten diverse Objekte geschaffen und
Gips-Skulpturen geformt. Mit den für die Mauermal-Gesichtsmaskenherstellung
verwendeten Gipsbinden aus der Apotheke hatte ich zum Beispiel Gesichts-
und Körperteil-Abdrücke von mir genommen, die ich dann verarbeitete
und –inspiriert von den Berliner Künstlern um Endart- Objekte daraus
gebildet. Zudem begann ich 1986 zu malen. Aber da mich Willmann, sich in
seinem Buch kurioserweise als „Wolframs bester Freund“ bezeichnend, kein
einziges Mal in meiner Wohnung besucht hat und ich meine künstlerischen
Tätigkeiten nicht an die große Glocke hing konnte er davon auch
nichts wissen. Immerhin, von meiner Filmbeteiligung in der og. Form und
meinen Gedichten für PIK7 mußte er gewußt haben, aber
vermutlich kam ihm hier wieder die Flüchtigkeit in die Quere. Abgesehen
davon: Mich interessiert gar nicht, wo und wann mir jemand künstlerische
Aktivitäten bescheinigt. Schöpferische und politische Tätigkeiten
geschehen bei mir grundsätzlich um ihrer selbst willen (und können
auch gar nicht anders geschehen), sei es mein politisches Engagement in
der DDR, seien es meine späteren Aktivitäten im sogenannten künstlerischen
Bereich, den ich lieber als schöpferisch tätigen bezeichne, weil
sich dieses Attribut mehr auf den offenen Prozess bezieht als auf sein
mögliches Produkt-Etikett. Wenn es jemand –wie Frank Willmann- für
nötig befindet, Etiketten zu verteilen, sollte er dann zumindest eine
gewisse Präzision bei der Realitätserfassung walten lassen, zumal,
wenn er sich –wirklichkeitsfernerweise- zum besten Freund, also sehr guten
Kenner einer Person erklärt.
Der weisse Strich
Nach einem langen Fußmarsch durch den seifigen
Matsch Willmannscher Vergangenheitswelten ist der Leser endlich an
der weissbestrichenen Mauer angekommen. Bezüglich des Urhebers der
Strichmalerei will Willmann wider der unzweifelhaften Tatsache zunächst
im Ungefähren verweilen, wenn er schreibt: "Ich glaube, Jürgen
hatte die ursprüngliche Idee“. Ein paar Sätze später fällt
er von desem Glauben ab und schreibt nun, " daß er- J.Onisseit
( d.Verf.)- die Mauerstrichidee vorgetragen hat“. Gleich darauf folgt der
nächste Widerspruch, wenn er zunächst ausführt, daß
jeder seine eigenen Vorstel-
lungen zum Sinn der Aktion gehabt hätte aber
daraufhin wenig später erfreu-
licherweise realitätsnah erklärt, daß
wir mit dem Strich beabsichtigten "das Lebensgelände, daß uns
in Westberlin umgibt, festzumachen". Und obwohl er dies also konstatiert,
spricht er erneut ein paar Zeilen später von seiner Enttäuschung
über den in dem von Onne an die Mauer geschriebenen Zweck der Aktion.
Er- Willmann- hätte das nicht nur surrealer formuliert, sondern gern
auch die Unfreiheiten in der kapitalistisch-bundesdeutschen Gesellschaft
mit einbezogen. Entsprechende Beweggründe findet man aber in seinem
Text und auch sonst in seinen seit 2011 gemachten Auslassungen über
die Aktion nicht. Warum nicht ? Wäre es doch allemal eine willkommene
Motiv-Berei-
cherung gegen die eingleisig von ihm und allen
Medien produzierte Populär-
masse, daß der weisse Strich gegen die Brutalität
der Todesgrenze prote-
stieren und an die gefangenen Brüder
und Schwestern in der DDR erinnern sollte. Willmann erklärt weiter,
daß Onnes geschrieben Botschaft ihm zu sehr gegen den Osten gerichtet
gewesen sei, doch genau das war er ganz im Gegensatz zu dem heutigen Sinn-Konsens
eben nicht. Denn ob es sich bei der Berliner Mauer um ein Fabrikat der
DDR handelte, war uns im Grunde egal, es ging lediglich darum, eine Mauer,
die das eigene Leben eingrenzt wieder also eine solche bewußt zu
machen: durch Ziehen eines Grenzstrichs, der nicht identisch ist mit dem
der DDR-Staatsgrenze zu Westberlin, sondern die durch Zäune und Mauer
existierene physische Grenze für den Westberliner Bürger nachzeichnet.
Verhaftungssituation
Ausführlich äußerts sich Frank
Willmann zu meiner Festnahme, wobei sich
fragt, woher er all diese Informationen hat, wo
er doch selbst, sobald er die Gefahr in Form von DDR-Grenzposten erblickte,
davonrannte. Willmann war zudem mehreer Meter von mir entfernt, als die
Grepos plötzlich aufgetaucht waren. Er hatte also in der für
ihn zunächst noch sichtbaren Situation eine eindeutige räumliche
Distanz, später, als sich durch die Flucht diese Disranz noch vergrößerte,
war ihm die Situation ohnehin nicht mehr optisch zugäng-
lich. Wie konnte er also meine Reaktionen
und meine Gefühle so genau beoabachten , wie er es in seinem Text
beschrieben hat : „Wolfram hatte seine Zigarette in der Hand und guckte
die Grenzer an, nach dem Motto, was wollt ihr eigentlich, ich bin lieb,
mal hier nur einen kleinen Strich. Er war überrascht, verblüfft
und sich in keinster Weise der Gefahr bewußt." Dabei war das Gegenteil
der Fall: gerade weil ich mir der Gefahr angesichts der zu dritt unmittelbar
vor mir stehenden bewaffneten DDR-Grenzposten bewußt gewe-
sen bin, die entschlossen genug aussahen, mich
–wie Grepo Fittinger dem ZDF erklärte- bei Widerstand „flachzulegen“,
blieb mir gar nichts anderes übrig, als aufzugeben. Und das in dem
Bewußtsein, daß ich höchstwahr-
scheinlich nicht mehr als zweiwöchige U-Haft
befürchten mußte und darum in dieser aussichtlosen Situation
Gesundheit und Leben nicht aufs Spiel setzen mußte. Frank Willmann
war nicht nur einige Meter weg von der plötzlich entstandenen Festnahme-Situation,
sondern hatte, da die Grenzer nicht hinter ihm standen, aus der seitlichen
Distanz die Anwesenheit der Grepos auch noch einen Moment vor mir
erfaßt. Er blickte daraufhin auf mich und die hinter mir stehenden
Grenzer, rief „Wolfram“ und im selben Moment, als ich das Malen unterbrach
und mich umdrehte raste er weg und kann daher meine Reaktionen gar
nicht mehr mitbekommen haben. Ich er-
blickte die 3 bewaffneten Grenzer vor mir und
saß in der Falle. Angesichts der im Kapitel zur Aktionschronolgie
beschriebenen tatsächlichen und schlüssig nachvollziehbaren Ereignisse
um meine Verhaftung und die informative Begegnung mit der Westberliner
Polizei am Leuschnnerdamm kommen Willmanns Ausführungen einer
durch Falschdarstellung ermöglichten beab-
sichtigten Beleidigung gleich, die die eigene
-bei ihm häufig durch Vergleiche bewirkte- Selbstfaufwertung einem
Mindestmaß an Respekt gegenüber dem Opfer der damaigen Situation
vorzieht. Wobei Willmann die Suggestivität seiner Darstellungsmittel
dabei selbst verrät. Denn um mein angeblich zu lässiges, realitätsfernes
und naives Verhalten zu verdeutlichen schreibt Willmann, ich hätte
während meiner Festnahme eine Zigarette in der Hand gehabt. Man fragt
sich bloß, warum das Halten einer Zigarette situations-
adäquate Reaktionen verhindern sollte, zumal,
wenn ihr Erfolg wie in diesem Fall überhaupt nicht von der Bewegungsfreiheit
der Hände abhängig ist. Aber davon abgesehen: Auf den Fotos,
die von mir während der Malaktion gemacht wurden, sieht man mich kein
einziges Mal rauchen, stets hatte ich links den Eimer und rechts den Pinsel
in der Hand, so auch während des Malens vor meiner Festnahme. Brennende
Zigarette und Pinsel hätten sich zudem die rechte Hand teilen müssen,
denn ich bin Rechtshänder. Aber Willmann geht es gar nicht um die
Zigarette, er möchte nur das Clischee vom in seinem eigenen Zigarettennebel
derealiserten Raucher bemühen, von dem er sich via Ver-
gleich als situationsadäquat handelnder Realist
absetzen kann. Die Äuße-
rungen sind aber innerhalb der Willmannschen Psychologie
nicht verwunder-
lich. Sein ganzer Text ist auffälig häufig
gespickt mit direkten oder indirekten Vergleichen zwischen seinem und dem
Verhalten anderen Personen, seien es die Feministen, Hippies, die DDR-Dableiber,
ich, Polit-Aktivisten usw. Und jedesmal führt die Abwertung dieser
Personenverhalten zu seiner eigenen aufwertenden Darstellung. Daher ist
es letztlich nur folgerichtung , daß er auch in dieser Situation
der individuell völlig unterschiedlichen Bedrohung durch die DDR-Grenzposten
mit der verhöhnenden Darstellung meines Verhaltens seine eigenes aufwertet
und jede andere Sichtweise inzwischen als die eines von Schock und Trauma
gezeichneten Verstandesverwirrten neutralisiert. Am Abend des Verhaftungstages
erschien ein Beitrag in der Berliner Abendschau des Senders SFB , in dem
Willmann und Jürgen Onißeit vor der Kamera auftauchen. Da heisst
es noch: "Wolfram hatten sie schon am Arm und mit gezogener Waffe: Mitkommen.
Er hatte keine Chance mehr". Heute nun hat man sich für das
Gegenteil der damaligen Aussage entschieden. Fast 25 Jahre später
lesen wir in Willmanns Buch, ich sei aus Gutgläubigkeit mal eben mit
den Grepos einfach mitgegangen, und das trotz schwangerer Freundin und
nicht erwünschter Wiederholungserfahrungen mit dem DDR-Strafvollzug.
Mit den Zeiten ändern sich die Bedürfnisse und mit diesen Bedürfnissen
die Mittel, sie zu sättigen. Aus –weiter oben geschilderten- dramatisierenden
Erfindungen und Übertreibungen zur Solidarisierung mit unserer Aktion
und ihrem Opfer wurden 23 Jahre später solche zur Aufwertung des eigenen
Verhaltens.
Nach meiner Freilassung 1987 hatte ich mit Frank
Willmann die damalige Verhaftungs-Situation in einem Gespräch Revue
passieren lassen. Da unsere Erinnerungen an diese Situation nicht differierten,
ging ich über die Jahre wie selbstverständlich davon aus, daß
sich diese Erinnerungen sehr ähnlich wa-
ren.
Es handelte sich um die gleiche Selbstverständlichkeit
wie diejenige, daß meine Geschwister nie gegen meinen Vater gekämpft
hatten, unser Gedichtband "Pik 7" und nicht "PIK Ass" hiess, die Strichakteure
keine Künstlergruppe bildeten, es weder Gerichtsurteile über
die Fassadensprüher noch –wie Willmann ebenfalls behaupete- in der
Vergangenheit gebrochen aus dem Gefängnis entlassene Freunde
Willmanns gegeben hatte, als dieser 1983 seinen Ausreiseantrag in die BRD
stellte.
Aus einstmaligen Selbstverständlichkeiten
sind zunächst Unverständlichkei-
ten geworden, die, wenn man sie auf ihre
Gründe untersucht, verständlich werden.
Frank Willmanns Darstellung der Festnahme-Situation
in seinem Buch ist es, die die Medien dann in dieser Version übernommen
haben und dann Sätze wie diese schrieben: „Willmann kann gerade noch
in die Büsche springen, Hasch hingegen bleibt einfach stehen. Er denkt
wohl, es geht ihm wie dem kanadischen Mauerläufer John Runnings, und
sie lassen ihn schnell wieder frei.“(Der Tagesspiegel.). Angesichts dessen,
was sich damals vor und wäh-
rend der Festnahme real abgespielt handelt es
sich um eines von mehreren nicht einmal mehr fragwürdigen Aussagen
Frank Willmanns, an das hier einfach angeknüpft wird.
Neben den genannten Flüchtigkeiten Willmanns
gesellten sich bei ihm- wie ich gezeigt habe- Falschinformationen hinzu,
die nicht bloß Unaufmerksamkei-
ten geschuldet sind. Eine an die Mauer geschriebene
Aktionsbotschaft zum weissen Strich, die unterschlagen wird, obwohl sie
1986 noch in einer Doku-
mentation veröffentlicht wurde und den Sinn
unserer Aktion ausdrückte. Zahlreich verhaftete Freunde, die zu großen
Teilen gebrochen aus dem Ge-
fängnis gekommen seien, woraufhin Willmann
sich dringend veranlaßt sah, seinen Ausreiseantrag zu stellen. Urteile
anderer Inhaftierter (der Sprüh-
akteuere vom Oktober), die, wie er behauptet,
schon feststanden, als er
seinen Antrag auf Ausreise angeblich aufgrund
der abschreckenden Höhe dieser Urteile stellte. Von ihm in die Wege
geleitete und noch am selben Abend erschienene„Tageschau“-Meldungen der
Inhaftierungen. Die Strichmaler als angeblich bestehende feste Künstlergruppe.
Gegen ihren Vater kämpfende Halbwaisen-Kinder. Ein angeblich
seine Motive hartnäckig verschweigender Stasi-Spitzel Jürgen
Onißeit. Schließlich noch ein während des Grenzposten-
einsatzes ohne Not mal eben einfach stehen bleibender
Wolfram Hasch, während Frank Willmann -sich angeblich in derselben
Situation befindend- vor den Grepos flüchtete.
Seitdem ich von Willmanns „alternativen Wahrheiten“
in seinem Buch und der vielen Äußerungen nach dessen Veröffentlichung
Kenntnis bekommen habe konnte es nur eine Reaktion geben: nie wieder mit
einer solchen Person zusammentreffen. Sei es privat oder in öffentlichen
Projekten wie denen der Medien bei der Thematisierung unserer damaligen
Aktion des weissen Strichs an der Berliner Mauer.
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