Das Buch „Der weisse Strich“
 

Frank Willmanns Text

Auch in Frank Willmanns Text setzt sich das auffällige auf die Stereotypie der DDR-Vergangenheit fixierte Episodenhafte nahtlos fort, nur daß es nun noch durch Weimarer und Westberliner Episödchen über Protagonisten des Mauer-
strichs und andere Weimarer Personen ergänzt wird. Dabei hatte man von einem Text, der vom Herausgeber dieses Buches und Aktionsteilnehmer ge-
schrieben ist mehr erwartet. Aber wenn, wie er schreibt, sein Hauptbeweg-
grund für die Teilnahme an der Strich-Aktion ohnehin der Wiederbelebungs-
versuch einer von ihm nachträglich erfundenen, real nie existierenden Kün-
stlergruppe gewesen ist, dann ist an interessanten Gedanken über seine Motive und die damalige Westberliner Situation tatsächlich wenig zu er-
warten. Stattdessen fängt der Text ohne irgendeine in die Ausführungen hineingleitende Einleitung einfach damit an, daß "die fünf Freunde" sich in der kleinen Gemeinde der methodistischen Gemeinde in Weimar kennengelernt hätten. Was erstens im Zusammenhang mit dem Strich völlig unbedeutend , zum zweiten gar nicht der Fall gewesen ist. Ich war dort nicht zugegen und auch Jürgen Onißeit nicht, wie er mir Anfang 2017 mitteilte.
Ich arbeitete zu der Zeit (1981/82), als dieser Methodistenkreis sich traf,  in einem Altenheim und nutzte die freie Zeit für Studien der Bücher von Karl Marx, Solschenyzin und Kunze, die im Kellergewölbe der Methodistenkirche
die gedankliche Atmosphäre prägten interessierten mich seit geraumer Zeit nicht mehr. Daß sich die fünf Freunde in jener Methodistengemeinde offenbar dann doch nicht kennengelernt hatten stellt Willmann dann später im Text fest, wen  er schreibt, daß ich nicht dort nicht dabei war und das deshalb,
weil ich zuhause mit meinen Geschwistern einen gemeinsamen Kampf gegen den Vater führte. Als hätte es diesen Kampf jemals gegeben. Auch Willmann hat sich wie seine Lebenspartnerin Hahn nicht die Mühe gemacht, zu recherchieren. Gerade nach dem Tod meiner Mutter 1979 (Willmann lernte ich erst 1982 kennen) rückte die Familie  -mit Ausnahme von mir- eng zusammen. Willmann beleidigt meinen Vater, indem er ihn entgegen der Realitäten als einen Menschen charakterisiert, der seine Kinder zum gemeinsamen Kampf gegen sich aufbrachte und das in einer Weise, die  so massiv gewesen sein soll, daß Zeit und Energie für andere Aktivitäten anscheinend nicht übrig blieb. Zum zweiten lügt er über das Verhalten der Kinder und beleidigt sie damit ebenfalls. Ich wiederum hatte gegen meinen Vater nie gekämpft, son-
dern ihm durch äußere Erscheinung und  politisches Verhalten Lehrer- und Kaderleiter-Besuche eingebracht, die die offenbar schlechte Erziehung seines Sohnes mit seinen Pflichten als Musikpädagoge konfrontierten und ihn in Verlegenheit und Rechtfertigungsdruck brachten, deren daraus hervorgehende Stimmungslagen er dann wütend an mich weitergab. Als ich, nachdem ich meine Lehre abgebrochen hatte, schließlich eine Nische als Hilfspfleger in einem katholischen Altenheim gefunden hatte löste sich der Konflikt mit mei-
nem Vater in Luft auf, denn ich brachte ihm nun keine unliebsamen Besuche mehr ein. Daß ich als Teenager den üblichen Kampf zwischen Freiheiterwei-
terung und Normalitätsvorstellungen der Eltern kämpfte bedeutet nicht, gegen den Vater rebelliert zu haben, sondern von der Absicht angetrieben worden zu sein, sich gegen und jenseits von dessen Vorstellungen die eigenen Freiheiten herauszunehmen. Was Willmann letztlich wohl damit auch sagen will ist, daß mir an außerfamiliären Kampf-und Kommunikationsorten  nicht viel gelegen war, sondern daß ich lieber in den vier Wänden familiäre Ersatzkämpfe des Gesellschaftlichen führte. Tatsächlich jedoch war das Gegenteil der Fall, wie das folgende Beispiel zeigt.

Statt dem Methodistenkreis beizutreten regte ich im Rahmen eines über das Wochenende stattfindenden großen Friedensfestes der Weimarer evangeli-
schen Kirche  im Sommer 1982 dazu an, sich regelmässig zu treffen, anstatt nun wieder bis zum kommenden Jahr auf das nächste Fest dieserart zu warten. Woraufhin Jugenddiakon Volker Elste bemerkte, ein solches regelmässiges Treffen gäbe es schon in Form der "Offenen kirchlichen Jugendarbeit", die seit jenem Friedensfest und meinem Vorschlag nun schlicht "Montagskreis " hiess und ab sofort auf religiöse Rituale (gemeinsames Beten etc) weitestgehend verzichtete. In der Folgezeit wurde dieser Kreis über seine bisherige Teilnehmerclientel hinaus zum Anlaufpunkt für die Subkultur Wei-
mars, aber man sollte ihn auch nicht überbewerten, denn der Versuch leben-
diger Auseinandersetzungen scheiterte sehr häufig an unserer realsozialisti-
schen Prägung: den in der Schule eingeübten Phraseologien, die hier in Form von pazifistischen Formeln reproduziert wurden, deren Inhalte sich zwar denen der DDR-Ideologie widersetzten, aber eben letzlich auf dieselbe oft phrasen-
haft anmutende und sich in ihrer Aussagen mantraartig wiederholende Art. Als gebrannte Kinder der realsozialistischen Geistessozialisation war es  eben schwer, langsam aus der Starre der Monotheismen herauszukommen und schrittweise in eine lebendige Diskurskultur einzutreten, wobei der Wunsch dazu durch die jahrelange Konditionierung in der Schule bei einigen offenbar ohnehin schon ziemlich abgestorben schien.
 

Marxismus-Schick

Keinesfalls bin ich – wie Willmann schreibt- der totale Außenseiter gewesen, wohl aber innerhalb einer geistig uniformisierten Gesellschaft einer derjeni-
gen, die bereits in der Schulzeit  durch Reibungssituationen mit den Normen eine persönliche Eigenwilligkeit entwickelt hatten.  Mit einem meiner Schulfreunde tauschte ich später Ideen aus und wir wagten uns- inzwischen 17 Jahre alt- an die theoretischen Grundlagen des Sozialismus, um zu verstehen, auf was der eigentlich gründete und wie sich die Theorie und die sich auf diese Theorie beziehende sowjetsozialistische Praxis zueinander verhielten. Die durch deren massive Staats-Ideologisierung erzeugte Abneigung überwindend kämpften wir uns durch Marx und Engels. Dabei wiederholte ich, wenn nötig, das Lesen mancher Abschnitte solange, bis der Inhalt bei mir deutlich angekommen und darum keine Floskel in meiner Gedankenwelt mehr war, was ja Ziel dieser Studien gewesen ist: Zu begrei-
fen, statt zu praseologiseren. Die Art unserer Auseinandersetzungsweise mit solchen Theorien war daher bereits systemfeindlich, da sie nicht Phrasen und feststehende Wahrheiten einübte, sondern die dahinterstehenden Ideen nachzuvollziehen und zu hinterfragen versuchte.  Willmann bezeichnet uns in seinem Text als "schicke Theoretiker", denen man nicht frech kommen durfte. Dabei waren wir zu dieser Zeit (1981 bis Mite 1982) nur zwei miteinander dialogisierende, erkenntnissuchende  „Theorie-Freaks“ gewesen, die sich mit gänzlich unschicken (nämlich realsozialistisch monopolisierten) Gesellschafts-
theorien beschäftigten und damit niemanden beeindrucken oder distanzieren wollten. Wenn unsere Theorien schick waren, dann muss der ganze Überbau des real existierende Sozialismus eine sehr schicke Angelegenheit gewesen sein. Dabei wäre es ja sogar dringend nötig gewesen, in die Öde des real-
sozialistischen Alltags mehr echte schicke Momente einzuführen, denn das meiste, was im Sozialismus sowjetischer Prägung schick daherkommen sollte waren ja nur krampfhafte Versuche innerhalb einer nicht überwindbaren, da systemisch bedingten Biederkeitskultur.

Um dem Leser zu zeigen, wo schicke und arrogante Theorie letztlich hinführt fügt Willmann auf seine vulgärtendenziöse Art noch hinzu, daß mein dama-
liger Freund heute am rechten Rand der CDU anzutreffen ist, was schlichweg nicht stimmt. Willmann hat sich einfach nur an den simplifizierenden Konsens angehängt, der über Peter Krauses, von 1998 datierter viermonatiger journa-
listischer Tätigkeit beim rechtskonservativen Blatt „Junge Freiheit“ herrscht. Zu dieser Mitarbeit führte Krause in einem Interview für Welt.online aus: „ Ich wollte, dass die Zeitung ein freies, radikal unideologisches Debattenblatt wird: lagerübergreifend, von einem konservativen Fundament aus weit nach links ausgreifend. Das funktionierte nicht, aus verschiedenen Gründen. Und so haben die „Junge Freiheit“ und ich (1998 d.Verf.) nach vier Monaten beschlos-
sen, die redaktionelle Zusammenarbeit zu beenden. (Inteview Welt.online vom 3.5 2008). 

Als nächstes nimmt sich Willmann die Hippies und Feministen Weimars vor, die einen Vortrag von ihm, welchen er 1983 im "Montagskreis" hielt, einhellig als langweilig empfunden hatten und zudem von Nietzsches Satz "Wenn Du zum Weibe gehst vergiß die Peitsche nicht" und auch den allgemeinen nietzscheanen Interpretationen Frank Willmanns wenig hielten.Dazu ist zu erwähnen, daß Nietzsches Texte dem DDR-Bürger nicht zugänglich waren. Man mußte zum einen interessiert sein und dann auch noch eine der äußerst raren Quellen kennen und anzapfen können, die für den Zugang zu sonst nicht erhältlichen Büchern existierte. Eine solche Quelle hatte Willmann durch Jürgen Onißeit gefunden, der nach seiner vorzeitigen Beendigung der Elektroniker-Lehre (1981) in der Weimarer Stadt-Bibliothek arbeitete, in der es auch ein Depot von Büchern gab, die nur an erwiesenermaßen system-
konforme Leser, welche sich durch Angabe von beruflich erforderlichen und inhaltlich genehmigungswürdigen Leseabsichtsgründen legitimieren konnten, ausgeliehen wurden. Menschen, die solche Quellen entweder nicht hatten oder bei deren Nutzungsmöglichkeit an anderen Autoren interessiert gewesen sind, war von Nietzsche meistenteils nur sein irgendwie besonderes Philosophieren, vielleicht noch sein späterer Wahnsinn und eben dieser Satz bekannt, weil er so drastisch klang und auf den ersten Eindruck sehr  leicht zu interpretieren war.  Willmanns Vortrag hatte es nicht geschafft, den diesbezüglich wenig informierten Menschen Nietzsches Denken nahezubringen, was letztlich nicht verwunderlich ist, denn wenn ein 19jähriger, in der Phraseologiefabrik der DDR-Schule sozialisierter Mensch  einem ebenso sozialisierten und zudem an ganz anderen Gedankenwelten (Pazifismus, DDR-Systemkritik) interessierten Publikum plötzlich Friedrich Nietzsches lebensphilosophisch psychologisie-
rendes Denken nahebringen möchte hat er sich einfach zuviel vorgenommen.

Nachdem Willmann in seinem Selbstinterview dann noch ein paar Sätze lang über die widerstandsfaulen Hippies lästert und dabei auch sprachlich einen schnodderigen Ausdruck wählt, um authentisch und unumwunden zu wirken, wiederholt er schliesslich die Legende von dem aus purer Zerschlagungs- und Zersetzungsabsicht vorgenommenen Verhaftungen.

Daraufhin muß sich der Leser durch langweilige Details über den Weimarer Pfarrer Krantz und Willmanns Eltern quälen und inzwischen fragt man sich schon gar nicht mehr, was das alles noch mit der Berliner Mauer und unserer Aktion zu tun hat. Man liest einfach weiter.Unsere Strich-Aktion wird in die-
sem Text offenbar nur benutzt, um im Rahmen einer durch ihre Thematisie-
rung attraktiv erscheinenden Publikation all diese langweiligen, im atmo-
sphärischen Dunstkreis von DDR-Nonkonformitäts-Jugend spielenden Details unterzubringen, die wegen ihrer Banalität sonst nirgendwo unterzubringen wären. Anschliessend belügt Willmann den Leser mit "etlichen unerfreulichen Kontaken mit der Staatssicherheit. Teilweise haben sie mich überwacht". Aus seiner etwa 15 Seiten umfassenden Akte geht dies nicht hervor. Dort werden 2 oder 3 Treffen mit dem Ministerium des Innern protokolliert, in denen seine Gründe und Aussichten bzgl des gestellten Ausreiseantrags erörtert werden. Frank Willmann wiederholt dort entschlossen seine Ausreiseabsicht und das 
klugerweise so, daß er  sich nicht durch unnötige Provokationen in Gefahr  bringt. Drohungen, die die Stasi ihm bei diesen Treffen entgegengebracht haben soll findet man hier nicht. . "Wenn Verhaftungen anstanden, war ich immer fällig und wurde verhört." Es standen während seiner Zeit in Weimar nur dreimal Verhaftungen an: Die der beiden Wehrdienstverweigerer, als Vernehmungen anderer als der Verhaftetetn gar nicht nötig waren, da die Angelegenheit von vonherein klar war, also auch nicht mehr aufgeklärt werden musste. Ein weiterer Verhaftungskomplex war der der Fassadensprüher, bei denen Willmann tatsächlich befragt wurde. Danach stellte er seinen Ausreise-
antrag. Wenn er diesen also in seinem Buch-Text damit begründet,daß er bei Ermittlungen zu unaufgeklärten Straftaten stets zu den Verhör-Kanditdaten zählte so ist das einerseits richtig, anderersseits ist der Plural daran falsch, da Frank Willmann im Zusammenhang mit verhaftungsorientierten Errmitt-
lungen nur nach der Sprühaktion im Oktober 1983 vernommen wurde. Nach seinem Ausreiseantrag gab es dann noch die Verhaftung der Flugblattschrei-
ber des Wahlboykottaufrufs, bei denen die Akteure (Kobylinski, Otto und Fischer und ich) ebenfalls  feststanden und eine Aufklärung durch Verneh-
mungen im Umfeld nicht nötig war. Hinzu kam nach seinem Ausreiseantrag noch ein Verhör im Rahmen des „Die in“ am Ost-Berliner Alexanderplatz, bei dem alle potenziellen Teilnehmer Weimars (und anderer Städte) ohne tatsächliche Inhaftierungsabsicht vernommen wurden. Ich gehe bis heute anhand des vergleichsweise recht lasch mit mir und meinen Freunden geführten Verhöres davon aus, daß das Mfs aufgrund dessen, daß es sich bei diesem „Die in“ um eine für sie strafrechtlich schlecht zu handhabende Veranstaltung handelte, die Organisatoren nicht wirklich emitteln und dann verhaften wollte. Schlecht zu handhaben deshalb, weil es sich um eine Aktion nicht gegen Verhältnisse des Ostblocks, sondern gegen den Weltkrieg im allgemeinen handelte und er neben den beteiligten DDR-Bürgern durch friedensengagierte Personen aus Westeuropa unterstützt wurde, die das SED-Regime in seinen Medien ja täglich als ihre Gesinnungsfreunde gegen die NATO-Kriegstreiber instrumentalisierte. 

Willmann weiter: "Es gab diverse Strafandrohungen". Selbstverständlich gab es diese, weil sie zum psychischen Druckmittel jedes Verhöres gehörten. Aber Willmann befand sich  in der sicheren Position des Nichttäters und konnte diese Drohkulisse an sich abprallen lassen. Für Aussageverweigerung gab es keine Strafe, wie mein diesbezüglich notorisch schweigender Weimarer Freund Volker Otto bestätigen wird. 

Wir befinden uns bereits in Willmanns Ausführungen über die totale Alternativlosigkeit seines gestellten Ausreiseantrages. Im nächsten Satz spricht er von Opferung, wenn er seinen Übersiedlungswunsch damit begründet : "Ich hatte nicht das Gefühl, daß ich mich für dieses Land und seine Menschen opfern müsste". Als käme die damals beliebte Devise „Bleibe im Lande und wehre Dich täglich“ einer Aufopferung gleich. Was sagen ei-
gentlich die anderen ostdeutschen Punks, Hippies, Oppositionellen dazu, die bis 1989 in der DDR geblieben sind und Widerstand mindestens gegen ihre Integration in die gewünschte 0815-Normalität geleistet haben. Oder andere, die es wenigstens lange probiert haben, bis sie nicht mehr konnten oder weil hohe Haftstrafen deren zeitliche Halbierung durch einen Ausreiseantrag ermöglichten. Und was sagen diejenigen dazu, die ihren Ausreiseantrag gestellt haben, weil sie -wie Frank Willmann auch- völlig legitimerweise einfach bloß freier leben wollten und sich zur Begründung dieser nachvoll-
ziehbaren Absicht keine heftigen Drohkulissen ausdachten, wie es Willmann tut, nur um beides einzuheimsen: die schnelle, möglichst schmerzfrei be-
werkstelligte Ausreise ebenso wie den Status des Widerstandskämpfers.

Angeblich hätten sie ihm bei einem Verhör erklärt, daß die Weitergabe von Namen der verhafteneten Sprüher an BRD-Medien nur er und seine Freunde gewesen sein konnten und ihm dazu auch alle Details dazu aus Observationsprotokollen geschildert. Das gäbe bis zu 10 Jahren Haft. Warum sie ihn angesichts der erdrückenden Beweislage dann nicht verhaftet haben erschliesst sich wiederum nicht. In seiner Akte fand ich zu diesem Ereignis keine Information. Er führt weiter aus: Jede seiner Verhaftungsübermittlungen wäre noch am selben Tag in der „Tagesschau“ berichtet worden. Genauer gesagt: Nicht eine einzige wurde am selben oder folgenden Tag in der Tagesschau genannt, weder die Verhaftung der Sprühakteure, die der beiden Wehrdienstverweigerer noch die der Flugblatt- Hersteller. Die zweifellos erfolgten Nachrichtenübermittlungen in die Bundesrepublik organisierte im übrigen nicht bloß Frank Willmann, auch andere Weimarer Personen waren diesbezüglich tätig. 

Willmann aber füttert den Leser auf mehreren Seiten mit solcherlei mal falschen, mal völlig übertriebenen Informationen über sich, sich und sich. Seine 3 Monate nach Antragstellung bewilligte Ausreise kommentiert er in einer für ihn ziemlich typischen geschmacklosen Dumpf-Provokation. In Westberlin sei er neidisch auf seine Freunde gewesen, die im Osten im Knast sitzen durften. Daß die "die Knute des Systems zu spüren bekamen. Andererseits war ich froh darüber, daß ich mich mit losen Mädchen im Resi herumtreiben konnte und nicht von Knackis in den Arsch gefickt wurde. Das war ambivalent". Abstoßender kann man sich eigentlich nicht mehr aus-
drücken, nicht zuletzt wegen der dahertönenden „Ambivalenz“, die sich hier zumindest gedanklich zwischen Knast-Arschfick und Sex mit „losen Mädchen“ vor die Wahl gestellt sieht.  Willmann entscheidet sich hier nicht nur mal wieder für die langweilige vulgär-provokative Art, sondern bemüht mangels Erfahrung einfach das  willkommene Stereotyp vn gewaltsamer Analpenetration im Gefängnis und  macht sich dabei als Zeitzeuge auch noch lächerlich, denn keiner der Weimarer Häftlinge ist im Knast vergewaltigt worden und es bestand aufgrund der präventiven Maßnahmen im gesamten Gefängnis auch wenig Wahrscheinlichkeit für solche sexuellen Übergriffe. Daß es in der vierzigjährigen Geschichte des DDR-Gefängnisses solche Übergriffe gab ist damit nicht bestritten. Davon abgesehen: Zum Zeitpunkt, als Willmann noch nicht nach Westberlin ausgereist war und also noch in jenem Cafe „Resi“ häufiger Gast war saßen alle der Weimarer Inhaftierten in Untersuchungs-Haft des MfS. Dort waren keine analpenetrierenden „Knackis“, sondern politische Häftlinge eingesperrt, von denen die allerallerwenigsten auch eine Laufbahn als „Knacki“ hinter sich hatten. 

Möglicherweise hat Willmann der Neid auf die politisch Inhaftierten nie wieder verlassen und das Gefühl, sich letztlich einfach aus dem Staub gemacht zu haben, während die anderen wegen versuchtem Widerstand gegen das System einsaßen, hat ihn in der ersten Zeit in Westberlin scheinbar häufig heimge-
sucht. Die anderen saßen für ihre Überzeugungen und Aktionen ein, hatten dadurch eine gewisse -für Willmann immer höchst wichtige- positive Aufmerksamkeit bekommen, er hingegen war nun zwar vogelfrei, aber auch frei von besonderer Aufmerksamkeit, was ihn trotz der neuen Annehmlich-
keiten nicht zufriedenstellte. Anders lässt sich diese überflüssige Flut an Begründungen für seinen Ausreiseantrag nicht lesen.  Auch habe er bei "den Aufrufen von Wolfram" (gemeint ist der Wahlboykottaufruf, der gar nicht von mir initiiert wurde sowie ein Aufruf von mir, der wiederum  nicht kriminia-
lisierbar war )nicht mitgemacht, weil er nicht ins Gerfängnis wollte. Dabei hatte er gar nicht die Entscheidungsmöglichkeit, weil er beide Male nicht in den Wohnungen gewesen ist, wo diese Textblätter hergestellt wurden.  Wir wollten auch nicht ins Gefängnis. All die ganzen Anpasser wollten es übrigens auch nicht, ebenso wie die Nonkonformisten, niemand wollte es, aber manche hielt es nicht davon ab, auch Dinge zu tun, die sie bei Entdecktwerden ins Gefängnis bringen konnte. Was Willmann letztlich damit sagt ist, daß er –verständlicherweise- generell nicht ins Gefängnis wollte und ergo alles unterließ, was eine Inhaftierung zur Folge haben könnte.Er  fügt noch hinzu , daß er zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits Künstler geworden sei, was er mit „Rummachen mit Super8-Film“ und einem abendlangen Versuch, in einer Punkband zu singen belegt. Politisches Veränderungsinteresse disqualifiziert er demgegnüber als missionarischen Eifer, dem er sein Interesse gegenüberstellt, gute Bücher zu lesen (politisch bildende sind offenbar schlechte) und „nette Mädchen“ zu „haben.", denen politisch interessierte Menschen offenbar naturgemäß abgeneigt sind.  Anschliessend berichtet Willmann uns seine Ankunft in Westberlin und man fragt sich immer noch, wann der Autor uns endlich etwas über sein zentrales Buchthema erzählt. Wir befinden uns immerhin schon auf der vorletzten Seite von Frank Willmanns Text. Doch da braut sich etwas zusammen, wenngleich auch wieder bloß als Stammtischmix aus Lügen und Bewertungen. Zunächst einmal will Willmann dem Leser ein Künstlerkollektiv glaubhaft machen, bestehend aus den fünf Freunden, die schließlich den Strich an derBerliner Mauer zogen. An dieser Strichaktion hat er seinen Angaben nach –wie bereits weiter oben erwähnt-vor allem deshalb teilgenommen, weil er den Zerfall der Gruppe aufhalten wollte. Dabei gab es  weder ein Künstlergruppe noch 5 feste Freunde . Aus einem grösseren Freundes- und Bekanntenkreis (zu der z.B. noch Lutz Heyler, Volker Otto, Grit Ferber, Knut Angermann, Anett Onißeit, Jan Georg Fischer, Alwin Derfuß, Pia Lazarewski, Holger Radtke, Jochen Schramm gehörten ), bei dem wiederum nicht jeder mit jedem enger in Kontakt gewesen ist hatten sich die 5 zur Strich-Aktion gefunden. Mit Willmann war ich 1982 ein paar Monate in Weimar, mit Jürgen Onißeit in Westberlin mittelstark befreundet, mit Thomas Onisseit und Frank Schuster hatte ich nahezu nichts zu tun, Frank Willmann sah ich in Westberlin äußerst sporadisch. Über die Art des Kontaktes der an-
deren Strich-Akteure zueinander möchte ich mir kein Urteil anmassen. Unbestritten ist aber, daß es eine intensive künstlerische und geschwister-
liche Beziehung der Brüder Onisseits und eine freundschaftliche zwischen Frank Schuster und Frank Willmann gab. Letzterer war zeitweise auch mit Jürgen Onißeit befreundet.  Wenn laut Willmann eine feste Künstlergruppe existierte, ich gehörte definitiv nicht dazu. Aber sie existierte auch gar nicht, wie mir Zeitzeuge Lutz Heyler auf meine ihm zum Abgleich mitgeteilten Erinnerungen bestätigte. Wenn es einen aus fünf Jungs bestehenden festen Freundes-kreis gab, ich gehörte ebenfalls nicht dazu, wohl aber zu einem losen aus einigen Ex-Wessis (Knut, Alwin, Pia, Suse, Dietrich )und einigen Ex- Ossis (Volker, Lutz, Ellis, Grit, Kipper, Fehser, Holger und den späteren Strich-Akteueren) bestehenden Netz , das in Westberlin wiederum  nur ein Teil meiner sozialen Kontakte gewesen ist. Meine Alltagsrealität war eine völlig andere als die von Wilmann mit „Freundeskreis“ suggerierte. Die „Ost--Connection", welche auch Ex-Ostberliner wie Ellis, Lutz und Holger einschloß  war für mich nur eine Facette in meinem neuen Leben. Diese Connection stellte meine „Roots-Connection“ und insofern die ideale andere Hälfte meiner Westberliner Sozialkontakte dar, weil wir uns hier einerseits aus der Vergangenheit kannten aber andererseits diese in unsere Westber-
liner Alltag hinter uns gelassen hatten und nun vor allem in der Gegenwart lebten. Wir waren angekommen und begegneten uns als neue Personen, aber im Wissen unserer gemeinsamen Weimar-Vergangenheit. Ich kann mich nicht erinnern, mit Grit, Volker, Onne regelmässig über die Vergangenheit gespro-
chen zu haben, wohl aber über z.B. eine Griechenland-Reise, Onnes neues Bild, neu erschienene Schallplatten  oder das bevorstehende Konzert von Wire oder den Einstürzenden Neubauten. Mit Willmann traf ich mich alle halbe Jahre mal, in einem Fall bei der Besprechung eines gemeinsamen Gedicht-
bandes, an der noch die Brüder Onisseits teilnahmen. Willmann erinnert den Titel des Gedichtbandes als PIK Ass“, tatsächlich lautete er „PIK 7“. Diese Namensverwechslung seiner eigenen Produkte wirft ein Licht auf die Flüchtigkeit Willmannscher Erinnerungen. Es handelte sich immerhin um die erste Veröffentlichung einiger seiner Gedichte. Noch ein anderer Aspekt in Willmanns Text frappiert: Hat man jemanden erstmal zu einem Freundeskreis subsumiert, obwohl das gar nicht der Realität entspricht, bedeutet dessen Nichtteilnahme an manchen Gruppen-Angelegenheiten plötzlich einen Aus-
fallsmoment, für den mitunter auch noch irgendeine seltsame Begründung gegeben wird. So findet sich in Willmanns Einlassung über das sonntägliche Kroquetspiel (er bezeichnet es irrtümlich mit Criquet, obwohl es sich dabei um ein ganz anderes Spiel handelt, ..nächste Flüchtigkeit) der Hinweis, daß Wolfram Hasch nicht daran teilnahm und das deshalb, weil ich noch schlafen mußte. Obwohl ich gar kein Interesse an diesem Spiel hatte und diesem Spiel-Kreis gar nicht angehörte. An dem Spiel nahmen die Brüder Onisseits, Lutz Heyler, Ellis Schramm und Frank Willmann teil, Frank Schuster als eine der anderen zur angeblichen 5er Künstlergruppe gerechneten Personen jedoch wiederum nicht. An anderer Stelle steht die Vollständigkeit meiner Beteiligung an seinem einzigen Super8Film plötzlich zur Debatte, weil ich beim Schnitt nicht dabei war. Warum sollte ich auch , es war ja Willmanns Filmprojekt. Ich hatte als Darsteller mitgewirkt und Wochen vor den Dreharbeiten einen Flyer hergestellt, in welchem wir Personen einluden, uns für den Film Schnürsenkel zu schicken, mit dem wir eine in Mullbinden gewickelte Schaufensterpuppe an einen Rollstuhl wickeln wollten. Auch den Filmtitel hatte ich ausgedacht, zudem den für den Film nötigen Dreharbeiten beim Filmen einer Schlangen-
fütterung beigewohnt. Doch für Willmann waren das nur marginale Beteiligungen, denn Wolframs "künstlerische Phase begann erst nach dem zweiten Knasterlebnis“, was in zweifacher Hinsicht erfunden ist. Zum einen, weil ich mich nie als Künstler sah, zum zweiten, weil ich bereits im Frühjahr 1985, also ein paar Monate nach meiner Übersiedlung und lange vor meiner Inhaftierung kreativ tätig war. In der Zeit seit Mitte 1985 bis zur Inhaftierung wegen des weissen Strichs hatte ich neben meinen u.a. in Pik7 veröffent-
lichten Gedichten diverse Objekte geschaffen und Gips-Skulpturen geformt. Mit den für die Mauermal-Gesichtsmaskenherstellung verwendeten Gipsbinden aus der Apotheke hatte ich zum Beispiel Gesichts- und Körperteil-Abdrücke von mir genommen, die ich dann verarbeitete und –inspiriert von den Berliner Künstlern um Endart- Objekte daraus gebildet. Zudem begann ich 1986 zu malen. Aber da mich Willmann, sich in seinem Buch kurioserweise als „Wolframs bester Freund“ bezeichnend, kein einziges Mal in meiner Wohnung besucht hat  und ich meine künstlerischen Tätigkeiten nicht an die große Glocke hing konnte er davon auch nichts wissen. Immerhin, von meiner Filmbeteiligung in der og. Form und meinen Gedichten für PIK7 mußte er gewußt haben, aber vermutlich kam ihm hier wieder die Flüchtigkeit in die Quere. Abgesehen davon: Mich interessiert gar nicht, wo und wann mir jemand künstlerische Aktivitäten bescheinigt. Schöpferische und politische Tätigkeiten geschehen bei mir grundsätzlich um ihrer selbst willen (und können auch gar nicht anders geschehen), sei es mein politisches Engagement in der DDR, seien es meine späteren Aktivitäten im sogenannten künstlerischen Bereich, den ich lieber als schöpferisch tätigen bezeichne, weil sich dieses Attribut mehr auf den offenen Prozess bezieht als auf sein mögliches Produkt-Etikett. Wenn es jemand –wie Frank Willmann- für nötig befindet, Etiketten zu verteilen, sollte er dann zumindest eine gewisse Präzision bei der Realitätserfassung walten lassen, zumal, wenn er sich –wirklichkeitsfernerweise- zum besten Freund, also sehr guten Kenner einer Person erklärt.

Der weisse Strich

Nach einem langen Fußmarsch durch den seifigen Matsch Willmannscher Vergangenheitswelten  ist der Leser endlich an der weissbestrichenen Mauer angekommen. Bezüglich des Urhebers der Strichmalerei will Willmann wider der unzweifelhaften Tatsache zunächst im Ungefähren verweilen, wenn er schreibt: "Ich glaube, Jürgen hatte die ursprüngliche Idee“. Ein paar Sätze später fällt er von desem Glauben ab und schreibt nun,  " daß er- J.Onisseit ( d.Verf.)- die Mauerstrichidee vorgetragen hat“. Gleich darauf folgt der nächste Widerspruch, wenn er zunächst ausführt, daß jeder seine eigenen Vorstel-
lungen zum Sinn der Aktion gehabt hätte aber daraufhin wenig später erfreu-
licherweise realitätsnah erklärt, daß wir mit dem Strich beabsichtigten "das Lebensgelände, daß uns in Westberlin umgibt, festzumachen". Und obwohl er dies also konstatiert, spricht er erneut ein paar Zeilen später von seiner Enttäuschung über den in dem von Onne an die Mauer geschriebenen Zweck der Aktion. Er- Willmann- hätte das nicht nur surrealer formuliert, sondern gern auch die Unfreiheiten in der kapitalistisch-bundesdeutschen Gesellschaft mit einbezogen. Entsprechende Beweggründe findet man aber in seinem Text und auch sonst in seinen seit 2011 gemachten Auslassungen über die Aktion nicht. Warum nicht ? Wäre es doch allemal eine willkommene Motiv-Berei-
cherung gegen die eingleisig von ihm und allen Medien produzierte Populär-
masse, daß der weisse Strich gegen die Brutalität der Todesgrenze prote-
stieren und an die gefangenen  Brüder und Schwestern in der DDR erinnern sollte. Willmann erklärt weiter, daß Onnes geschrieben Botschaft ihm zu sehr gegen den Osten gerichtet gewesen sei, doch genau das war er ganz im Gegensatz zu dem heutigen Sinn-Konsens eben nicht. Denn ob es sich bei der Berliner Mauer um ein Fabrikat der DDR handelte, war uns im Grunde egal, es ging lediglich darum, eine Mauer, die das eigene Leben eingrenzt wieder also eine solche bewußt zu machen: durch Ziehen eines Grenzstrichs, der nicht identisch ist mit dem der DDR-Staatsgrenze zu Westberlin, sondern die durch Zäune und Mauer existierene physische Grenze für den Westberliner Bürger nachzeichnet.

Verhaftungssituation

Ausführlich äußerts sich Frank Willmann zu meiner Festnahme, wobei sich
fragt, woher er all diese Informationen hat, wo er doch selbst, sobald er die Gefahr in Form von DDR-Grenzposten erblickte, davonrannte. Willmann war zudem mehreer Meter von mir entfernt, als die Grepos plötzlich aufgetaucht waren. Er hatte also in der für ihn zunächst noch sichtbaren Situation  eine eindeutige räumliche Distanz, später, als sich durch die Flucht diese Disranz noch vergrößerte, war ihm die Situation ohnehin nicht mehr optisch zugäng-
lich.  Wie konnte er also meine Reaktionen und meine Gefühle so genau beoabachten , wie er es in seinem Text beschrieben hat : „Wolfram hatte seine Zigarette in der Hand und guckte die Grenzer an, nach dem Motto, was wollt ihr eigentlich, ich bin lieb, mal hier nur einen kleinen Strich. Er war überrascht, verblüfft und sich in keinster Weise der Gefahr bewußt." Dabei war das Gegenteil der Fall: gerade weil ich mir der Gefahr angesichts der zu dritt unmittelbar vor mir stehenden bewaffneten DDR-Grenzposten bewußt gewe-
sen bin, die entschlossen genug aussahen, mich –wie Grepo Fittinger dem ZDF erklärte- bei Widerstand „flachzulegen“, blieb mir gar nichts anderes übrig, als aufzugeben. Und das in dem Bewußtsein, daß ich höchstwahr-
scheinlich nicht mehr als zweiwöchige U-Haft befürchten mußte und darum in dieser aussichtlosen Situation  Gesundheit und Leben nicht aufs Spiel setzen mußte. Frank Willmann war nicht nur einige Meter weg von der plötzlich entstandenen Festnahme-Situation, sondern hatte, da die Grenzer nicht hinter ihm standen, aus der seitlichen Distanz die  Anwesenheit der Grepos auch noch einen Moment vor mir erfaßt. Er blickte daraufhin  auf mich und die hinter mir stehenden Grenzer, rief „Wolfram“ und im selben Moment,  als ich das Malen unterbrach und mich umdrehte raste  er weg und kann daher meine Reaktionen gar nicht mehr mitbekommen haben. Ich er-
blickte die 3 bewaffneten Grenzer vor mir und saß in der Falle.  Angesichts der im Kapitel zur Aktionschronolgie beschriebenen tatsächlichen und schlüssig nachvollziehbaren Ereignisse um meine Verhaftung und die informative Begegnung mit der Westberliner Polizei am Leuschnnerdamm kommen Willmanns  Ausführungen einer durch Falschdarstellung ermöglichten beab-
sichtigten Beleidigung gleich, die die eigene -bei ihm häufig durch Vergleiche bewirkte- Selbstfaufwertung einem Mindestmaß an Respekt gegenüber dem Opfer der damaigen Situation vorzieht. Wobei  Willmann die Suggestivität seiner Darstellungsmittel dabei selbst verrät. Denn um mein angeblich zu lässiges, realitätsfernes und naives Verhalten zu verdeutlichen schreibt Willmann, ich hätte während meiner Festnahme eine Zigarette in der Hand gehabt. Man fragt sich bloß, warum das  Halten einer Zigarette situations-
adäquate Reaktionen verhindern sollte, zumal, wenn ihr Erfolg wie in diesem Fall überhaupt nicht von der Bewegungsfreiheit der Hände abhängig ist. Aber davon abgesehen: Auf  den Fotos, die von mir während der Malaktion gemacht wurden, sieht man mich kein einziges Mal rauchen, stets hatte ich links den Eimer und rechts den Pinsel in der Hand, so auch während des Malens vor meiner Festnahme. Brennende Zigarette und Pinsel hätten sich zudem die rechte Hand teilen müssen, denn ich bin Rechtshänder. Aber Willmann geht es gar nicht um die Zigarette, er möchte nur das Clischee vom in seinem eigenen Zigarettennebel derealiserten Raucher bemühen,  von dem er sich via Ver-
gleich als situationsadäquat handelnder Realist absetzen kann.  Die Äuße-
rungen sind aber innerhalb der Willmannschen Psychologie nicht verwunder-
lich. Sein ganzer Text ist auffälig häufig gespickt mit direkten oder indirekten Vergleichen zwischen seinem und dem Verhalten anderen Personen, seien es die Feministen, Hippies, die DDR-Dableiber, ich, Polit-Aktivisten usw. Und jedesmal führt die Abwertung dieser Personenverhalten zu seiner eigenen aufwertenden Darstellung. Daher ist es letztlich nur folgerichtung , daß er auch in dieser Situation der individuell völlig unterschiedlichen Bedrohung durch die DDR-Grenzposten mit der verhöhnenden Darstellung meines Verhaltens seine eigenes aufwertet und jede andere Sichtweise inzwischen als die eines von Schock und Trauma gezeichneten Verstandesverwirrten neutralisiert.  Am Abend des Verhaftungstages erschien ein Beitrag in der Berliner Abendschau des Senders SFB , in dem Willmann und Jürgen Onißeit vor der Kamera auftauchen. Da heisst es noch: "Wolfram hatten sie schon am Arm und mit gezogener Waffe: Mitkommen. Er hatte keine Chance mehr".  Heute nun hat man sich für das Gegenteil der damaligen Aussage entschieden. Fast 25 Jahre später lesen wir in Willmanns Buch, ich sei aus Gutgläubigkeit mal eben mit den Grepos einfach mitgegangen, und das trotz schwangerer Freundin und nicht erwünschter Wiederholungserfahrungen mit dem DDR-Strafvollzug.  Mit den Zeiten ändern sich die Bedürfnisse und mit diesen Bedürfnissen die Mittel, sie zu sättigen. Aus –weiter oben geschilderten- dramatisierenden Erfindungen und Übertreibungen zur Solidarisierung mit unserer Aktion und ihrem Opfer wurden 23 Jahre später solche zur Aufwertung des eigenen Verhaltens.
Nach meiner Freilassung 1987 hatte ich mit Frank Willmann die damalige Verhaftungs-Situation in einem Gespräch Revue passieren lassen. Da unsere Erinnerungen an diese Situation nicht differierten, ging ich über die Jahre wie selbstverständlich davon aus, daß sich diese Erinnerungen sehr ähnlich wa-
ren. 
Es handelte sich um  die gleiche Selbstverständlichkeit wie diejenige, daß meine Geschwister nie gegen meinen Vater gekämpft hatten, unser Gedichtband "Pik 7" und nicht "PIK Ass" hiess, die Strichakteure keine Künstlergruppe bildeten,  es weder Gerichtsurteile über die Fassadensprüher noch –wie Willmann ebenfalls behaupete- in der Vergangenheit  gebrochen aus dem Gefängnis entlassene  Freunde Willmanns gegeben hatte, als dieser 1983 seinen Ausreiseantrag in die BRD stellte. 

Aus einstmaligen  Selbstverständlichkeiten sind zunächst  Unverständlichkei-
ten geworden, die, wenn man sie  auf ihre Gründe untersucht,  verständlich werden.

Frank Willmanns  Darstellung der Festnahme-Situation in seinem Buch ist es, die die Medien dann in dieser Version  übernommen haben und dann Sätze wie diese schrieben: „Willmann kann gerade noch in die Büsche springen, Hasch hingegen bleibt einfach stehen. Er denkt wohl, es geht ihm wie dem kanadischen Mauerläufer John Runnings, und sie lassen ihn schnell wieder frei.“(Der Tagesspiegel.). Angesichts dessen, was sich damals vor und wäh-
rend der Festnahme real abgespielt handelt es sich um eines von mehreren  nicht einmal mehr fragwürdigen Aussagen  Frank Willmanns, an das hier einfach angeknüpft wird.

Neben den genannten Flüchtigkeiten Willmanns gesellten sich bei ihm- wie ich gezeigt habe- Falschinformationen hinzu, die nicht bloß Unaufmerksamkei-
ten geschuldet sind. Eine an die Mauer geschriebene Aktionsbotschaft zum weissen Strich, die unterschlagen wird, obwohl sie 1986 noch in einer Doku-
mentation veröffentlicht wurde und den Sinn unserer Aktion ausdrückte. Zahlreich verhaftete Freunde, die zu großen Teilen gebrochen aus dem Ge-
fängnis gekommen seien, woraufhin Willmann sich dringend veranlaßt sah, seinen Ausreiseantrag zu stellen. Urteile anderer Inhaftierter (der Sprüh-
akteuere vom Oktober), die, wie er behauptet, schon feststanden, als er 
seinen Antrag auf Ausreise angeblich aufgrund der abschreckenden Höhe dieser Urteile stellte. Von ihm in die Wege geleitete und noch am selben Abend erschienene„Tageschau“-Meldungen der Inhaftierungen. Die Strichmaler als angeblich bestehende feste Künstlergruppe. Gegen ihren Vater kämpfende Halbwaisen-Kinder.  Ein angeblich seine Motive hartnäckig verschweigender Stasi-Spitzel Jürgen Onißeit. Schließlich noch ein während des Grenzposten-
einsatzes ohne Not mal eben einfach stehen bleibender Wolfram Hasch, während Frank Willmann -sich angeblich in derselben Situation befindend- vor den Grepos flüchtete.

Seitdem ich von Willmanns „alternativen Wahrheiten“  in seinem Buch und der vielen Äußerungen  nach dessen Veröffentlichung Kenntnis bekommen habe konnte es nur eine Reaktion geben: nie wieder mit einer solchen Person zusammentreffen. Sei es privat oder in öffentlichen Projekten wie denen der Medien bei der Thematisierung unserer damaligen Aktion des weissen Strichs an der Berliner Mauer. 
 
 
 

 


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